100 Jahre Burgenland
Nach Beendigung der Störaktionen fiel der westliche Teil der Komitate Moson/Wieselburg, Sopron/Ödenburg und Vas/Eisenburg am 5. Dezember 1921 unter dem neuen Namen, Burgenland, definitiv an Österreich. Diese schlichte Feststellung verdeckt 100 Jahre wechselvoller Geschichte, die nicht nur durch Zerrissenheit, sondern damit verbunden durch Feindseligkeit gekennzeichnet war. Den Fakten nachzugehen wäre mühsam, zudem sprächen sie infolge der Polarisierung divergierende Sprachen. Der Hauptfakt liegt jedoch in der Nachbarschaft, die, durch mitunter obskure Grenzziehungen vielfach erschwert, sogar verdrängt wurde. Siedlungen und Menschen kehrten einander den Rücken, und wurden in ihrem Verhalten nicht nur bestätigt, sondern geradezu dazu gedrängt. Der Schutthaufen der Geschichte diente zur Rechtfertigung echter und vermeintlicher Gerechtigkeit oder eben Ungerechtigkeit; das Wichtigste dabei war die Akzeptanz: die eine Hälfte sollte mit dem Errungenen zufrieden sein, die andere musste sich damit abfinden.
So vergingen lange Jahrzehnte, belastet insbesondere durch die politischen Verwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Und dennoch: je drückender die Not, umso größer die Notwendigkeit nach Annäherung und Versöhnung. 1989 brach die Welt der Absurdität zusammen, und dadurch wurde der Weg in die gemeinsame Zukunft eröffnet, in der die Grenzen nur noch einen eher symbolischen Charakter haben. Es ist immer wieder ein beglückendes Erlebnis sie in beiden Richtungen unbehindert zu überqueren.
Das jüngste Bundesland Österreichs wird von allen Seiten geschätzt. Es gibt kaum jemanden, der noch an der Frage nach dessen Zugehörigkeit rüttelt. Die Landesbewohner fanden zu ihrer eigenen Identität. Dies bezeugt nicht zuletzt das Bekenntnis vieler Angehöriger der ungarischen Volksgruppe, die sich als ungarisch sprechende Burgenländer bezeichnen.
Das Burgenland ist eine vielfältige, abwechslungsreiche Region: im Norden der Neusiedler See mit dem Seewinkel, eine gegen Osten offene Landschaft, getragen von Weinbergen, im waldreichen Süden – durch zahlreiche Flüsse und Bäche gefurcht – hügelig-bergig. Gegen Westen ist der Übergang in das alpine Vorland bestimmend. Der Weinbau bestreift das Land vom Seewinkel ausgehend über das Ödenburger Gebirge und Lutzmannsburg, weiter südlich das Pinkataler Weingebiet, voran mit Eisenberg bis einschließlich Heiligenbrunn. Nicht nur geographisch gesehen ist das Burgenland eine Übergangsregion zwischen dem Pannonischen und dem Norischen, was auch klimatisch zum Ausdruck kommt. Landschaft und Geschichte haben zweifelsohne die Landesbewohner geprägt. Die Burgenländer zeigen folglich einen Zwillingscharakter. Gerade diese Art muss erhalten bleiben, denn letzten Endes ist dieser Einschlag auch durch Sprachen und Religionen geprägt, obwohl diese Merkmale weitgehend vernachlässigt immer geringere Bedeutung haben.
Die wahrhaft höchstwertige Politik und Kultur zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie auf die geographischen und sozio-ökonomischen Voraussetzungen aufgebaut das Schicksal von Land und Leuten lenken und prägen. Die durch Jahrhunderte geformte und gebildete Vielfalt und Reichhaltigkeit mögen das Burgenland stärken und darin weiterhin erhalten.
Der dreisprachige Őrség Kalender 2021 will einerseits die Grenzsituation in Erinnerung rufen, anderseits zu Vertiefung der gegenseitigen Zugehörigkeit beitragen.
Allen Burgenländern und deren Freunden wünscht die Überwindung der gegenwärtigen durch das Corona-Virus bedingte Krise und eine glückliche Entfaltung in Frieden und Gesundheit
Ernő Deák