Autopsie einer Madonnenskulptur
Was haben das Christliche Museum in Esztergom (Gran) und eine Autopsie gemeinsam? Dr. Emese Sarkadi Nagy, Forscherin an ebendiesem Museum, erläutert in einem Online-Vortrag, wie es zu der ungewöhnlichen Verknüpfung gekommen ist. Dabei ist die Verknüpfung so ungewöhnlich nicht. Denn Autopsie bezeichnet laut dem Online-Lexikon Wikipedia nicht nur „allgemein die Untersuchung eines Gegenstandes mit eigenen Augen. speziell vor allem die Obduktion einer Leiche“. Vielmehr existiere auch das „Autopsieprinzip, ein Begriff aus der Methodik der Wissenschaft“.
Genau dieses Prinzip bildet eines der drei Beispiele aus dem ungarisch- und englischsprachigen Auswahlkatalog, der laut Emese Sarkadi Nagy „die mittelalterlichen ungarischen, deutschen und österreichischen Objekte der Sammlung aus einer neuen Sicht” präsentiert.
Kapitel 2 heißt nämlich: „Autopsie und naturwissenschaftliche Forschungen“. Subjekt der Einführung ist eine Madonnenskulptur ohne Fassung aus den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts, vermutlich aus Wien oder von einem Wiener Meister, der nach Preßburg übersiedelt war. Die Computertomografie habe ergeben, dass die Figur samt Jesuskind samt Armen aus einem Holzblock herausgehauen wurde. Da der Holzkern nicht entfernt worden sei, seien Risse entstanden, die „vom Meister mit Ergänzungen kaschiert wurden“, unter anderem mit Brokatschnitten.
Die Forscherin, die an der Babes-Bólyai-Universität in Klausenburg (ungarisch Kolozsvár, rumänisch Cluj-Napoca) studiert hat, lässt in ihrem corona-bedingt nur online gehaltenen Vortrag auch andere „Blicke auf die Methoden der KunsthistorikerInnen werfen”. Sie verspricht nicht zuviel und enthüllt tatsächlich einige „Werkstattgeheimnisse der Forschung”.
Der Online-Vortrag ist unter dem folgenden Link zu sehen und zu hören: https://youtu.be/Frjoiqibro0
Wem die unorthodoxe Online-Führung nicht genug ist, muss sich schon nach Esztergom im romantischen ungarischen Donauknie bemühen. Das 1875 eröffnete Christliche Museum baut auf die ehemalige Privatsammlung des Bischofs und Kardinals János Simor auf und enthält unter anderem die Liturgieausrüstung des Benediktinerklosters aus der heute zur Slowakei gehörenden Ortschaft Garamszentbenedek sowie Objekte von Bischof Arnold Ipolyi aus Großwardein (Nagyvárad, Oradea) sowie des Ehepaars San Marco.
P. M.