Die ungarischen Wahlen brachten eine Umordnung der Opposition

Die ungarischen Wahlen brachten eine Umordnung der Opposition


Zum ersten Mal fanden in Ungarn die Wahlen zum Europäischen Parlament (EP) und die Kommunalwahlen am selben Tag, dem 9. Juni, statt. Die Ergebnisse bestätigten weitgehend die Vorhersagen, aber es gab auch einige Überraschungen. Der Erfolg der vor den Parlamentswahlen 2022 gegründeten, aber ohne Kandidaten agierenden und erst vom neuen politischen Akteur Péter Magyar wiederbelebten Partei Respekt und Freiheit (TISZA) war zwar erwartet worden, übertraf aber in seinem Ausmaß die Erwartungen, während die anderen Oppositionsparteien noch schwächer als erwartet abschnitten.


Die Regierungskoalition Fidesz-KDNP gewann die EP-Wahlen erneut mit einem überzeugenden Vorsprung (44,82 %), verlor aber zwei ihrer bisherigen 13 Sitze. TISZA kam mit 29,6 Prozent (7 Sitze) auf den zweiten Platz, während die Linkskoalition aus Demokratischer Koalition (DK), Ungarischer Sozialistischer Partei (MSZP) und Dialog (Párbeszéd) mit 8,03 Prozent auf den dritten Platz kam, wodurch die DK zwei statt bisher fünf Sitze erhielt (MSZP und Dialog bekamen keine). Die nationalkonservative Oppositionspartei Mi Hazánk (Unser Vaterland) kam mit 6,71% als Neuling mit einem Vertreter ins EU-Parlament. Nicht mehr vertreten sind hingegen das liberale Momentum (3,7%) und die ehemals radikal-nationale Jobbik (0,99 %), die sich heute als konservativ bezeichnet, aber in den letzten Jahren erfolglose Wahlbündnisse mit der linken Opposition eingegangen war.

Momentum ist die Partei, die ihre Karriere damit begonnen hatte, dass sie die ungarische Olympiabewerbung hintertrieb (NOlimpia-Kampagne für ein Referendum). Sie war stolz darauf, zur Nichtauszahlung von EU-Geldern an Ungarn beigetragen hat, weil diese Fidesz und seine Klientel bereichern“ würden. Viele sagen, ihre Handlungen kämen einem Landesverrat gleich, aber sie sehen es genau umgekehrt. Ironischerweise fällt ihr Untergang ausgerechnet in das Jahr der Olympischen Spiele in Paris, an deren Zustandekommen sie durch die Ablehnung der Budapester Bewerbung mitgewirkt hatten.


Fidesz-KDNP hat etwas an Gewicht verloren, aber ihr derzeitiges Ergebnis würde bei einer Parlamentswahl immer noch eine Zweidrittelmehrheit bedeuten. Ihr Wahlslogan – „Nein zum Krieg, Nein zur Migration, Nein zum Gendern“ – fand bei einer Mehrheit der Wähler Unterstützung. Die kleineren Oppositionsparteien stehen am Rande der Vernichtung. Zwei Oppositionsparteien, MSZP und LMP, sind aus dem Europäischen Parlament ausgeschieden.
Gewinnerin des „Oppositionswechsels“ war die TISZA-Partei, die laut Umfragen nicht nur die mit ihren Parteien unzufriedenen Oppositionswähler aufgesaugt, sondern auch Fidesz Stimmen abgenommen hat. Ihr kometenhafter Aufstieg ist eine Warnung für die Regierungspartei und unterstreicht die Tatsache, dass ein großes Segment der ungarischen Gesellschaft (1,3 Millionen Menschen) unzufrieden ist. Der seit 14 Jahren mit Zweidrittelmehrheit regierenden Fidesz-KDNP-Koalition wird vorgeworfen, ihre Übermacht zu missbrauchen, ihre Vorstellungen ohne Konsultationen durchzusetzen und die ostentative Bereicherung ihrer „Klientel“ zu dulden. Außerdem haben viele Menschen wahrscheinlich einfach die Nase voll und wollen etwas Neues.


Dieses Neue haben sie in Péter Magyar und der TISZA-Partei gefunden. Der bisher unbekannte 43-jährige Politiker macht sich gut in den sozialen Medien, kleidet sich modisch, sieht gut aus und ist jugendlich. Er lässt sich von den Anhängern als Messias feiern, sendet vereinfachte Botschaften aus, kritisiert das gesamte derauf-die-Beinezeitige politische Establishment und behauptet, dass Fidesz und der Hauptgegner, die Demokratische Koalition von Ferenc Gyurcsány, in Wirklichkeit gemeinsame Sache machen und dass Viktor Orbáns Verbleib an der Macht darauf zurückzuführen ist. Laut Magyar dient die Antikriegsrhetorik des Ministerpräsidenten nur diesem Zweck; die Propagandamaschinerie der Regierungspartei führe die öffentliche Meinung in die Irre und diskreditiere ihre Gegner.


Magyar und seine inzwischen geschiedene Frau Judit Varga, die spätere Justizministerin, lebten jahrelang in Brüssel, wo sie als politische Beraterin des Europäischen Parlaments und später im Team des damaligen Staatspräsidenten János Áder tätig war. Péter Magyar tauchte nach dem „Begnadigungsskandal“ im Februar dieses Jahres, der zum Rücktritt seiner Ex-Frau und der ehemaligen Staatschefin Katalin Novák führte, aus der völligen Bedeutungslosigkeit auf. Damals schwor er, keine politische Karriere anzustreben und keine Partei zu gründen, sondern mit Enthüllungen eine „Atombombe zu zünden“, die Orbáns „System der nationalen Zusammenarbeit“ (ungarische Abkürzung: NER) vernichten werde. Er gründete eine Bewegung, die sich Gemeinschaft der Auf-die-Beine-Ungarn nannte, doch später brauchte er eine Partei, um bei den EP-Wahlen zu kandidieren. Es ist unklar, wie die bis dahin unbekannte, inaktive Partei TISZA ins Spiel kam, mit der er nichts zu tun hatte.


Auch die Kommunalwahlen gewann Fidesz landesweit mit über 50 Prozent der Stimmen in den meisten Komitaten (TISZA stellte nur in Budapest Kandidaten auf, weil sie keine Zeit hatte, sich auf dem Land zu organisieren). Mi Hazánk kam auf den zweiten Platz mit 10 bis 20 Prozent, DK auf den dritten mit 10-12 Prozent und Momentum auf den vierten mit durchschnittlich 6-10 Prozent.
In Budapest erreichten die Regierungspartei und TISZA jeweils 31,25 Prozent (10-10 Sitze), die Linkskoalition DK-MSZP-Dialog 18,75 Prozent (6 Sitze), LMP und die Zweischwänzige-Hund-Partei erzielten mit je 9,37 Prozent (3-3 Sitze) das gleiche Ergebnis. Da der wiedergewählte Bürgermeister Gergely Karácsony (Listenführer der Linkskoalition) nicht über die erforderliche Mehrheit in der Hauptstadtversammlung verfügt, ist absehbar, dass die Verabschiedung des Budgets und andere wichtige Entscheidungen schwierig sein wird – es sei denn, TISZA schließt sich mit der Linken oder mit Fidesz zusammen, was die Partei von Péter Magyar zwingen würde, Farbe zu bekennen.


Bei den Bürgermeisterwahlen lagen Gergely Karácsony und Dávid Vitézy, ein von LMP unterstützter Kandidat mit großer Erfahrung in der Verkehrsentwicklung und -verwaltung, mit 47,51 und 47,50 Prozent fast gleichauf. Alexandra Szentkirályi, die Fidesz-KDNP-Kandidatin, zog sich in letzter Minute zugunsten von Vitézy zurück, um Karácsonys Ablösung zu ermöglichen, was jedoch nicht gelang. Das knappe Ergebnis wurde durch mehrere Nachzählungen überprüft, und schließlich wurde Karácsony mit 293 Stimmen Vorsprung zum Sieger erklärt. Angesichts seiner politischen Leistungen bezweifeln viele, ob er eine weitere fünfjährige Amtszeit ausfüllen werde.

(Von unserem Mitarbeiter)