Drei Menschen beherrschen die digitale Welt

Drei Menschen beherrschen die digitale Welt

  Seit Elon Musk, der amerikanische Milliardär südafrikanisch-kanadischer Herkunft, am 27. Oktober 2022 den Kurznachrichtendienst Twitter gekauft hat, bleibt bei den sozialen Medien kein Stein auf dem anderen. Wir beginnen diesen Text deshalb mit dem finanziellen Ereignis vor fast zwei Jahren, weil viele der Ereignisse danach Folgen davon sind.

   Die Übernahme kann auch so verstanden werden, wie sie Musk Ende 2023 erklärte: „Ich wollte die Zivilisation vor der Zombie-Apokalypse retten.“ Um dieses Ziel zu erreichen, entließ er alle Führungskräfte von Twitter, die meisten professionellen Faktenprüfer und Berater, übertrug den Nutzern die Moderation der Plattform und benannte den „Zwitscherer“ in X um. Sein Ziel ist es, X „zu einer vielseitigen sozialen Plattform zu machen, auf der man nicht nur Posts austauschen, sondern auch Nachrichten versenden, soziale Netzwerke aufbauen, Audio- und Videodienste verbreiten sowie online einkaufen und bezahlen kann“. Gleichzeitig machte er mehrere kostenlose Dienste kostenpflichtig.

   Die Antwort des Marktes: Das von Musk um 44 Milliarden Dollar gekaufte Unternehmen war einige Monate später nur noch 15 Milliarden Dollar wert. Globale Unternehmen zogen ihre Werbungen zurück, die Zahl der Nutzer ging zurück. Donald Trump hingegen bekam das Konto zurück, das Musks Vorgänger ihm nach der Erstürmung des Kapitols weggenommen hatten.
Sollte Trump noch einmal Präsident des Machtzentrums der westlichen Welt werden, dann erhielte Musk hinter-neben ihm nahezu grenzenlosen Einfluss. Der mit einem Vermögen von 251 Milliarden Dollar reichste Mann der Welt kann bereits jetzt spielend für die Verluste von X aufkommen, und laut dem Bloomberg Billionaires Index könnte er mit seinen drei innovativen Unternehmen – neben X auch Tesla und Space-X – in wenigen Jahren der erste Billionär der Welt werden.

   Dies gilt umso mehr, als der republikanische Präsidentschaftskandidat und Musk sich gegenseitig unterstützen. Zu Trumps Wirtschaftsvision gehört die Einrichtung einer „Effizienzkommission“, die die Aufgabe hätte, „die komplette Finanz- und Leistungsprüfung der gesamten Bundesverwaltung durchzuführen und Empfehlungen für drastische Reformen abzugeben“, so Trump. „Ich kann kaum erwarten, Amerika zu dienen, wenn sich die Gelegenheit ergibt“, antwortete Musk: „Es braucht weder Bezahlung noch Titel oder Anerkennung“, schrieb er auf X.

   Musk ist ein Mann, der Exklusivität und Verschwörungstheorien mag. Aber in einem Punkt ist er unerbittlich: Er will keine staatliche Einflussnahme akzeptieren. Im Kampf gegen Desinformation wurde X-Twitter, wie auch andere Anbieter sozialer Medien, von der Europäischen Union angesprochen. Die Verbreitung von Fake News und Hassreden zu stoppen, wurde nach dem Ausbruch des Krieges in Israel besonders wichtig, als EU-Beamte feststellten, dass sich Inhalte auszubreiten begannen, die zu Gewalt aufstachelten oder gegen eine der Kriegsparteien hetzten. Als antisemitische Äußerungen auf X eskalierten, entschuldigte sich Musk und intervenierte zwar, will aber von Moderation weiter nichts hören.

   Unter den Herren der sozialen Medien und des Internets ragt ein anderer Milliardär heraus, der sich in dieser Frage soeben in Richtung Musk gedreht hat. „Wir wurden jahrelang bedroht, und ich bedauere, dass ich dem Druck nachgegeben habe und nicht an die Öffentlichkeit gegangen bin. Ich bin einen Kompromiss eingegangen, der gegen die wichtigsten Grundsätze der freien Meinungsäußerung im Internet verstößt“, schrieb Meta-Boss Mark Zuckerberg, den sie Vater von Facebook und Onkel von Instagram bezeichnen, in einem auch auf X verbreiteten Brief. Er beschuldigte die Demokratische Partei von US-Präsident Joe Biden, in den letzten vier Jahren brutalen Druck auf sein Unternehmen ausgeübt und verlangt zu haben, Nachrichten über die Corona-Pandämie, über Trump und über Bidens Sohn zu zensurieren. Der Meta-Chef versprach, in Zukunft viel härter gegen solche Forderungen vorzugehen: Er werde „Angriffe aus welcher Richtung immer nicht mehr tolerieren“.

   Zuckerbergs „Geständnis“ kam mitten im US-Wahlkampf und traf mindestens genauso präzise ins Schwarze wie eine ganz andere Geschichte. In Paris, am Schauplatz der Olympischen Spiele, wurde Pavel Durov, der in Russland geborene Gründer und CEO der Messaging-App Telegram, festgenommen. Im Mittelpunkt des Verfahrens gegen den dubai-französischen Doppelstaatsbürger steht die Tatsache, dass Telegram keine Kontrolle und Moderation der Inhalte kennt. Laut den Behörden hat dies ermöglicht, dass Kriminelle und kriminelle Aktivitäten auf der Plattform Unterschlupf gefunden haben. Laut Kommuniqué der Polizei könnte Durov unter anderem des Drogenhandels und des Terrorismus mitschuldig sein.

   Nach vier Tagen Verhör wurde Durov gegen eine Kaution von 5 Millionen Euro freigelassen und kündigte kurz darauf Schritte an, die viele als Zensur bezeichnen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters erklärte Durov den 12,2 Millionen registrierten Nutzern die Änderungen mit den Worten: „Obwohl 99,999 Prozent der Telegram-Nutzer nichts mit Verbrechen zu tun haben, bringen die 0,001 Prozent, die in illegale Aktivitäten verwickelt sind, die gesamte Plattform in ein schiefes Licht. Die Online-Heime von einer Milliarde Menschen sind in Gefahr“, schrieb er. Die Nachricht, die Nutzer vielleicht am meisten verärgert hat, ist die Entfernung eines Satzes von der Telegram-Homepage, der besagt hat, dass private Nachrichten nicht moderiert werden. Stattdessen gibt es nun eine Anleitung, wie man illegale Inhalte melden kann.
Durov hat also „den Schwanz eingezogen“, wie Világgazdaság es formulierte. Aber der Telegram-Boss hatte seine Wahrheit schon zuvor verkündet. In einer Erklärung, die auf seiner eigenen Plattform und auf X veröffentlicht wurde, schrieb er: Wenn ein Land unzufrieden mit einer Internet-Dienstleistung ist, gehört es zur gängigen Praxis, rechtliche Schritte gegen den Dienst einzuleiten“, schrieb er. „Der Einsatz von Gesetzen aus der Vor-Smartphone-Ära ist geeignet, einen CEO für Verbrechen verantwortlich zu machen, die von Dritten auf der von ihm kontrollierten Plattform begangen werden. Das ist eine fehlerhafte Annäherung“, betonte er. „Die Entwicklung einer Technologie ist so schon schwer genug. Kein Innovator wird neue Tools entwickeln, wenn er weiß, dass er persönlich für den Missbrauch der Tools haftbar gemacht werden kann.“

   Telegram lässt Gruppen mit bis zu 200.000 Mitgliedern zu, was nach Ansicht von Kritikern die Verbreitung von Fake News bzw. die Verbreitung von Verschwörungstheorien, Neonazi-, Pädophilie- oder terroristischen Inhalten erleichtert. Im Vereinigten Königreich waren rechtsextreme Telegram-Kanäle kürzlich an der Organisation gewalttätiger Ausschreitungen in englischen Städten beteiligt. Cybersicherheitsexperten sagen, dass das Moderationssystem von Durov viel schwächer ist als das anderer sozialer Medienunternehmen und Apps.

   Pavel Durov, der demnächst 40 Jahre alt wird, und sein Bruder Nikolai haben einen ungewöhnlichen Lebensweg hinter sich. Sie wurden in Turin geboren, wuchsen in St. Petersburg auf, gründeten den ersten russischen Messenger Vkontakte und leisteten mit ihm Widerstand gegen das Putin-Regime, bis sie ihn verkaufen mussten. Ihr heutiges Unternehmen hat seinen Sitz in Dubai, spielt aber die Hauptrolle im russisch-ukrainischen Krieg. Sie wollen von Abonnements und nicht von Werbung leben, aber Telegram ist der einzige „unabhängige Kampfkanal“: Die Plattform bietet beiden Seiten die Möglichkeit, Informationen und Propaganda mit der Welt oder untereinander innerhalb der Organisation zu teilen. Jeder kann seine Gedanken über die App mitteilen, und es gibt keinen Algorithmus, der kontrolliert, welche Inhalte der Nutzer sieht. Hier teilen die Ukrainer ihre Propaganda und Informationen mit der Welt, und mit einiger Verzögerung sind auch die Russen aufgesprungen. Gleichzeitig verewigt die Zivilbevölkerung die Ereignisse, wie „Time“ schreibt. Es gibt unzählige Aufnahmen von Raketenangriffen, Bombardierungen und anderen Kampfhandlungen auf der Website. Die ukrainische Militärführung hat sogar zugegeben, dass sie effizient auf die russische Panzerkolonne niederschlagen konnten, weil die Zivilbevölkerung über die Route des Konvois informiert hatte.

   Deshalb war es spannend zu beobachten, wie Moskau auf die Festnahme Durows reagierte. „... Es ist in Panik geraten und hat mit Vollgas eine Kampagne #FreeDurov gestartet, in der der Telegram-Führer als Verkörperung der Meinungsfreiheit dargestellt wird, als Opfer der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung durch den Westen“, schrieb HVG. „Wie es in die Internet-Ära passt, wurde auch schon eine Petition zur Befreiung Durovs gestartet. Zudem beleuchtete der HVG-Artikel ein weiteres Detail: „Es gibt viel über Telegram zu sagen, aber sicher nicht, dass es transparent ist, und es ist kein Zufall, dass die App eine sehr dunkle Seite hat.“

   Die österreichische Rundfunk- und Telekom-Regulierungsbehörde (RTR-GmbH) erklärt den Grund dafür in wenigen Sätzen: „Der Wettbewerb bei Messengern zeichnet sich durch hohe Innovation aus. Dieser Innovationswettbewerb treibt die Entwicklung neuer Funktionalitäten, welche Nutzer:innen vielfältige Formen der Kommunikation erlauben.“ Ob Geschäftsmann, Gesetzesbrecher oder kriegführender Staat - alle wissen: „Modernes Messaging umfasst weit mehr Funktionali äten als bloß die Übertragung von Textnachrichten.“

  Die RTR listet 13 Messenger auf, darunter SMS, die Methusalem-Alter erreicht hat, ebenso wie als Teil größerer Apps Google Messenger, Instagram Direct Messaging und TikTok Direct Messaging oder das „apfelige“ iMessage. Und nicht zu vergessen atürlich die drei größten Kommunikationsplattformen weltweit, WhatsApp, Facebook – und Telegram.

Peter Martos