Ferner Frieden im Nahen Osten
Als ich zum Schreiben dieser Zeilen begonnen habe, entwickelten sich die auf eine Feuerpause abzielenden Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas gerade ermutigend. Genauer: Es wurde die Freilassung von Geiseln vereinbart, für die einige Tage lang die Waffen schweigen.
Es ist schwer festzustellen – aber auch nicht wichtig –, welche Seite dem auf ihr lastenden Druck nachgab; wesentlich wichtiger ist, dass sich etwas vom toten Punkt wegbewegte, bevor der Gaza-Streifen zu einem einzigen Schutthaufen geworden ist. Die Informationsbehörden wiederholen beständig, wie viele Menschenleben der Terrorangriff gekostet hat und wie viele Israelis die Hamas als Geiseln genommen hat, um auch damit Israels Recht auf Verteidigung zu belegen. Darüber ist auch mit niemandem zu streiten, sondern nur die Frage zu stellen: Müssen mehr als zwei Millionen Palästinenser für den Auftritt der Terrororgaanisation Hamas büßen?
Nicht als Ausflucht, aber es schadet nicht, in die Welt des Alten Testaments zurückzugreifen, in der wir mit dem Brudermord konfrontiert sind. Eine Art Urfluch trifft diese Region, kulminierend im unversöhnlichen Gegensatz der drei monotheistischen Religionen. Alle drei verehren zwar unter verschiedenen Namen, aber ein und denselben Gott und berufen sich in ihrem Hass auf diesen. Was Besitz betrifft, stützen sie sich auf uralte Glaubensrechte, wenn sie jene Erde, die als ihrer aller Heimat gilt, als ihr Eigentum betrachten.
In diesem Zusammenhang sind die Kreuzzüge ebenso zu erwähnen wie die Enteignungen und Vertreibungen durch die Jahrhunderte. Das von den Römern gewaltsam zerstreute Judentum sehnte sich im Inneren stets ins Gelobte Land zurück, ohne Jerusalem zu vergessen (Psalm 137). Hinter den „drei Göttern“ steckt unbestreitbar die Frage des Lebensraumes. Da die Oberfläche unserer Erde nicht wächst, müssen sich theoretisch alle Völker mit dem zur Verfügung stehenden Territorium begnügen. Im Nahen Osten ist dieses typischerweise mit Wüstengebieten erweiterbar, die hier jahrhundertealte Traditionen nähren: Wenn die Situation sehr problematisch wird, kann man aus Zwang in die Wüste hinausziehen – oder dorthin vertrieben werden.
Hier einige unausweichliche Daten: Der Staat Israel ist 1948 auf 20.991 km² gegründet; gegenwärtig belegt er – nach israelischer Ansicht - 22.380 km². 1948 betrug die Bevölkerungszahl 806.000, heute zählt er 9,092.000 Seelen. Der Zuwachs beträgt vor allem dank des Einwanderungsgesetzes jährlich 1,6%. Die Bevölkerungsdichte beträgt als Folge 410 pro km². Nur zum Vergleich: Im 360 km² großen Gaza-Streifen leben zusammengedrängt 2,2 Millionen Menschen; die Bevölkerungsdichte ist mit wesentlich über 6000 unglaublich hoch. Israel trägt zur Dichte vor allem durch Einwanderung bei, die Palästinenser vermehren sich durch hohe Geburtenraten. Allein schon aus dem schlichten Zahlenvergleich ergibt sich, dass – ähnlich wie bei der Inflation – der Wert von Menschenleben unheilverkündend sinkt, natürlich aus der Sicht der Gegenseite. Diese unlösbar erscheinende Situation wird weiter verschärft durch den religiös-weltanschaulich motivierten Behauptungswillen gegenüber der als Feind betrachteten Gegenseite.
Unabhängig von kühlen Berechnungen ist die von Rache genährte Zerstörung schaudererregend: dem Hamas-Terrorangriff fielen in Israel 1200 Menschen zum Opfer, im Gaza-Streifen dürfte die Zahl der Todesopfer mehr als 12.000 betragen, zu alldem sind Siedlungen reine Ruinenstätten (ORF2 Weltjournal, 22. November 2023). Weniger als Urteil, sondern aus der Sicht von Menschenfreundlichkeit taucht die Frage auf: Ist eine verteidigungsbedingte Zerstörung dieses Ausmaßes notwendig? Die Figur des barmherzigen Samariters taucht auf.
Niemand kann behaupten, nichts mit diesem hassgenährten Krieg zu tun zu haben. Falls die Gegner zur Akzeptanz des anderen unfähig sind, muss jeder verantwortungsbewusst denkende Mensch kritisch hinsehen, aber nicht zur Steigerung der Gegensätze, sondern zur Milderung der Wunden. Es muss dafür gesorgt werden, dass ein Friedensschluss und die gegenseitige Achtung Kains Natur aus den Seelen verdrängt.
Original: Pannonicus: “Távol a béke Közel-Keleten”