Grenzsperre statt Öffnung in Österreich

Grenzsperre statt Öffnung in Österreich

Seit dem Rücktritt von Sebastian Kurz verfolgt die regierende ÖVP eine derart strikte Grenzpolitik, dass sie nicht nur die Nachbarn überrascht, sondern auch "erfolgreiche" Entscheidungen auf Kosten Ungarns, genauer gesagt der ungarischen Reisenden, trifft. Auch das Vorgehen der sozialistischen Politiker im Burgenland passt in diese Richtung. Und schließlich tragen auch die Grünen, die mit der ÖVP in der Regierung sind, zur Grenzsperre bei.

Beginnen wir vielleicht am Ende des Satzes, der den Beginn der Komplikationen markiert. Als die österreichische Presse verkündete, dass Ungarn die seit langem geplante Autobahn M85 zwischen Győr (Raab) und Sopron (Ödenburg) bauen würde, war das burgenländische Fernsehen fast sicher, dass sie nicht auf die Autobahn A3 von österreichischer Seite "treffen" würde. Der sozialdemokratische Politiker Hans Peter Doskozil, damals noch der "künftige" Landeshauptmann des Burgenlandes, sagte laut burgenland.orf.at am 8. Februar 2019: "Die Verlängerung der A3 bis zur Grenze kann nur gebaut werden, wenn die Bevölkerung zustimmt." Damals war die Rede davon, dass es möglich sein könnte, wenn die halbstaatliche Baufirma Asfinag einen volksverträglichen Lärmschutz entwirft. Inzwischen war Doskozil Bundeslandchef geworden und es stellte sich heraus, dass ein volksverträglicher Lärmschutz noch nicht erfunden worden war. So endet die A3 nun dort, wo sie bisher war: bei Wulkaprodersdorf (Wulkapordány). Der 6,8 km lange Abschnitt zwischen Sopron und Klingenbach (Kelénpatak) wird nicht gebaut.

Im Arbeitsprogramm der burgenländischen Landesregierung für die Jahre 2020-2025 heißt es unter Punkt 133: "Der Bau der A3 würde zu einer Zunahme des Verkehrs, insbesondere des Transit- und Schwerverkehrs, mit erheblichen Nachteilen für die Bevölkerung in der gesamten Region führen." Die burgenländische Landesregierung hat die Wiener Regierung aufgefordert, den Paragraphen zum Ausbau der A3 aus dem Bundesstraßengesetz zu streichen. So ist es nicht verwunderlich, dass Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne), die immer gegen den Ausbau war, angekündigt hat, dass es keine A3 bis zur Grenze geben wird. "Nicht jede Entscheidung, die vor 20 oder 30 Jahren getroffen wurde, ist heute noch sinnvoll", so Gewessler.

Nicht jeder ist mit der neuen österreichischen Meinung einverstanden. Wer heute vom Mittelburgenland in die Donauregion zwischen Sopron und Győr fahren will, wird die "Ziellosigkeit" der A3 schmerzlich spüren. Wer sich in Zukunft auf der bis dahin fertiggestellten M85 der Grenze nähert, wird wahrscheinlich noch mehr Staus erleben als bisher.

Die schlimmsten Folgen sind für die Bewohner von Oberpullendorf und des Bezirks Oberpullendorf, süd-südwestlich von Sopron, zu erwarten. Nicht nur, dass die A3 den Verkehr nicht von den dortigen Dörfern wegleiten wird – Johannes Igler, Bürgermeister von Neckenmarkt (Sopronnyék), befürchtet, dass viele Autofahrer auf kleinere Grenzübergänge – und damit auf die Straße durch die Dörfer in der Umgebung – ausweichen werden, um die erwarteten Staus in Sopron zu vermeiden. Wir werden später darauf zurückkommen.

Der österreichische Innenminister Gerhard Karner von der Volkspartei sorgte kürzlich für Aufsehen, als er ankündigte, dass Österreich die Kontrollen an der ungarisch-slowenischen Grenze ab dem 11. Mai um weitere sechs Monate verlängern werde. "In den kommenden Tagen werden wir die Europäische Kommission darüber informieren, dass wir diese Grenzkontrollen verlängern müssen", sagte der Minister gegenüber dem ORF und fügte hinzu, dass die weitere Aussetzung der Schengen-Reisefreiheit notwendig sei, um die illegale Einwanderung zu bekämpfen.

Karner sagte, dass im vergangenen Jahr "der Migrationsdruck unglaublich hoch" gewesen sei, was "die Fortsetzung der Kontrollen notwendig machte". Die Maßnahme hat ihr Ziel erreicht: Die Zahl der Asylwerber in Österreich ist deutlich zurückgegangen, von 12.000 im November letzten Jahres auf 2.600 im Februar. Der Wiener Innenminister ist der Ansicht, dass Österreich rechtzeitig auf den Migrationsdruck reagieren müsse, der in den letzten Monaten in Slowenien und Italien deutlich zugenommen hat. "Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass sich die Situation des letzten Jahres auf keinen Fall wiederholt", so Karner.

                          Schattendorf vor den Grenzschperre - DerStandard Foto: Guido Gluschitsch

So überlastet die Grenzübergänge in dieser Reisesaison werden dürften, für das größte Aufsehen samt Ärger sorgt trotzdem die Region südwestlich von Sopron. Jene Region, die unter dem fehlenden Ende der Autobahn A3 leidet. Thomas Hoffmann, der im Oktober letzten Jahres gewählte Bürgermeister von Schattendorf (Somfalva), hat bisher ungewöhnliche Maßnahmen gegen die Ungarn ergriffen, die täglich von Ágfalva nach Österreich pendeln. Új Szó Nálunk, das in Győr tätige Nachrichtenportal der ungarischsprachigen Zeitung der Slowakei, Új Szó, berichtet regelmäßig und sehr detailliert über die Geschehnisse auf beiden Seiten der Grenze. Der neue Bürgermeister von Schattendorf hat nach mehreren Hilfeersuchen die Sache selbst in die Hand genommen: Thomas Hoffmann kündigte im Jänner an, die Straße zur ungarischen Grenze zu sperren, weil er der Meinung ist, dass Pendler aus Ágfalva viele Unfälle verursachen. Ursprünglich wollte er an der Grenze einen Schranken installieren, der sich öffnet, wenn eine Kamera ein nahendes Fahrzeug mit Genehmigung erfasst. Lange Zeit war die Straße, die Schattendorf mit Ágfalva und weiter nach Sopron verbindet, während der Pendlerzeit (werktags zwischen 5 und 8 Uhr sowie von 16 bis 19 Uhr) für den Verkehr gesperrt. Viele ungarische Pendler ließen ihre Autos in Ungarn stehen, gingen zu Fuß über die Grenze und stiegen in ein anderes Auto. Zuletzt berichtete Márta Nagy, Journalistin bei Új Szó Nálunk, darüber.

Thomas Hoffmann hat inzwischen eine "Dauerlösung" gefunden: Am 1. März begannen die Bauarbeiten, und nach zwölf Wochen wird die Verbindungsstraße ein Fußweg sein, der nur in Ausnahmefällen von Autos und Motorrädern befahren werden darf. Pendler aus Ágfalva können ihr Auto beim österreichischen Bürgermeisteramt anmelden und für rund 160 Euro (61.000 Forint) eine zweijährige Zufahrtsgenehmigung für die Schutzzone erhalten. Dieser Betrag kann in Form eines Einkaufsgutscheins in den Geschäften von Schattendorf "ausgegeben" werden.

Pendler aus Ágfalva, die ohne die Schattendorfer Straße viele Kilometer Umweg in Kauf nehmen müssen, um zu ihren Arbeitsplätzen im Burgenland oder in Niederösterreich zu gelangen, haben Unterschriften gesammelt und eine Petition eingereicht, alles bisher ohne Erfolg. Die Brüsseler Behörde hat geantwortet: „Wenn lokale Behörden in Grenzgebieten in Ausübung ihrer Befugnisse beschließen, bestimmte Straßen für den Autoverkehr zu sperren, schränkt dies an sich nicht die Ausübung der Freizügigkeit mit anderen Mitteln (z. B. mit dem Fahrrad) ein." Hierher gehört ein weiteres Zitat von der Website Új Szó Nálunk: "Nach Schattendorf hat das Burgenland Beschränkungen an der Grenze in St. Margarethen eingeführt, so dass die überwiegende Mehrheit der ungarischen Arbeitnehmer den Grenzübergang in Sopron benutzt, wo sie oft Schlange stehen, Zeit verlieren und Benzin verbrennen." Genau dort, wo 6800 Meter österreichische Autobahn fehlen...

Nicht, dass die Politik nicht versucht hätte, zu vermitteln. Thomas Hoffmann traf Zsuzsanna Pék, die Bürgermeisterin von Ágfalva, wo sie beide ihr Recht deponierten. Das Ergebnis? "In einem konstruktiven Gespräch haben sie mehrere Lösungsmöglichkeiten besprochen, die Argumente des jeweils anderen verstanden, aber die Positionen haben sich nicht angenähert."

Auch Zoltán Németh, Präsident des Komitats Gyor-Moson-Sopron, bezog auf seiner Facebook-Seite Stellung. Jetzt geht es um die Frage der durchlässigen Grenzen, denn mehrere Grenzübergänge wurden einseitig, äußerst unhöflich und plötzlich geschlossen." Nachdem er dies als "empörend" bezeichnet hatte, kündigte er an: "Wir haben unsere Argumente (oder besser gesagt unsere Forderungen) der österreichischen Delegation unter der Leitung von Verkehrslandesrat Heinrich Dorner in Eisenstadt vorgetragen, gemeinsam mit dem stellvertretenden Staatssekretär Péter Kiss-Parciu, dem Bürgermeister von Sopron Ciprián Farkas, Experten des Ministeriums und einem Vertreter des Polizei-Oberkommandos ORFK."

                              Schattendorf  jetzt - Blikk Foto: Fuszek Gábor

Auch Ciprián Farkas, Bürgermeister von Sopron, protestierte auf seiner Facebook-Seite. „Wir haltenes für inakzeptabel und ungerecht, dass nach Schattendorf auch eine weitere österreichische Ortschaft, St. Margarethen, den Ödenburger Arbeitnehmern den Grenzübertritt unmöglich macht.“ Im Interesse seiner Mitbürger wandte er sich an Außenhandels- und Außenminister Péter Szijjártó um Hilfe.

Szijjártó berichtete am 6. März auf seiner Social-Media-Seite: „In den vergangenen Tagen wurde an mehreren Übergängen der österreichisch-ungarischen Grenze begonnen, den Verkehr auf der burgenländischen Seite zu beschränken. Deshalb habe ich den burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil telefonisch konsultiert.“ Man habe darin übereingestimmt, dass „im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Infrastruktur zwei Aspekte gleichzeitig zu berücksichtigen sind. Man muss den schnellen Übergang an möglichst vielen Grenzstellen derart sichern, dass dies nicht zur dramatischen Verschlechterung der Lebensumstände der örtlichen Gemeinschaften führt.“ Laut dem ungarischen Außenminister „folgen jetzt Expertengespräche, an deren Ende ein Vorschlag entstehen wird, um durch bewusste Organisation des Verkehrs“ diese beiden Aspekte gleichzeitig realisierbar werden.

Doskozil scheint sein Kampf um die Führung der österreichischen Sozialdemokraten, der SPÖ, wichtiger zu sein als die Durchlässigkeit der Grenze – er hat sich bisher nicht öffentlich geäußert...

Péter Martos