Ignaz Aurel Feßler
Das abenteuerliche Leben des Kulturvermittlers
Das ungewöhnliche Leben des aus dem westungarisch-burgenländischen Zurndorf stammenden Ignaz Aurel Feß/ssler (1756–1839) wurde maßgeblich durch die großen politischen und weltanschaulichen Umwälzungen seiner Zeit bestimmt, die mit seiner idealistisch ausgerichteten, aber zuhöchst originellen Persönlichkeiten kollidierten und sich in einer äußerst vielseitigen und fruchtbaren literarischen Tätigkeit niederschlugen. Zunächst von Mystizismus, dann von mariatheresianischem Spätjansenismus bewegt, geriet er als bildungshungriger junger Mönch bald in Zweifel und wurde unter Einfluss der Aufklärung und des Humanitätsgedankens zu einem Anhänger des Josephinismus und der Freimaurerei. Später trat er zum lutherischen Glauben über, war in der Folge von der Kant’schen Philosophie und später dem Fichte’schen Idealismus beeinflusst, und wandte sich gegen Ende seines Lebens erneut der Spiritualität zu.
Aufgrund eines mütterlichen Gelübdes zum Klosterleben bestimmt, trat er nach Besuch der Lateinschule in Pressburg und Raab im Jahre 1773 in den Kapuzinerorden in Moor bei Stuhlweißenburg ein und versenkte sich neben seinen Studien der scholastischen Philosophie heimlich in verbotene aufklärerische Schriften, die sein Kritikvermögen schärften. Nach Aufenthalten in den Klöstern Besnyö, Großwardein und Schwechat wurde er 1779 in Mödling zum Priester geweiht, kam 1781 zu weiteren theologischen Studien nach Wien und wurde österreichweit als Erster seines Ordens promoviert. Er stand mit dem Kirchenrechtler Joseph Valentin Eybel (1741–1805), der – ganz im Sinne des Josephinismus – für eine strenge Trennung von Kirche und Staat eintrat, und dem damaligen Präsidenten der theologischen Fakultät der Universität Wien, Prälat Franz Stefan Rautenstrauch (1734–1785) in Kontakt, der 1774 im Auftrag Maria Theresias einen theologischen Lehrplan entwarf, der mehr als ein Jahrhundert gültig blieb. Ein Klosterskandal ließ Feßler zur Feder greifen, indem er brieflich Kaiser Joseph II. auf das Schicksal eines nach 52-jähriger unmenschlicher Haft in einem Ordensgefängnis verstorbenen Mannes aufmerksam machte, und veröffentlichte die aufklärerische Schrift Was ist der Kaiser? Verfasst von einem Kapuzinermönch (1782). Der Kaiser ordnete daraufhin eine strenge Untersuchung in allen Klöstern der Monarchie an, Feßler aber wurde des Bruchs seines Gelübdes bezichtigt und konnte erst nach seiner Strafverbüßung mittels Fürsprache Rautenstrauchs seine Unschuld beweisen und seine Lage verbessern. Durch kaiserliches Dekret 1784 aus dem Orden entlassen, wurde er als Professor für orientalische Sprachen und alttestamentliche Exegese nach Lemberg in Galizien berufen, las Baruch de Spinozas Schriften und trat hier der Freimaurerloge Phoenix zur runden Tafel bei. Um diese Zeit entstand auch – neben etlichen hebräischen und orientalischen Schulbüchern sowie dramatischen Versuchen – sein erster sich mit Ungarn befassender, freilich nur wenig origineller, historisch-didaktischer Roman Attila, König der Hunnen, den er – ganz im Sinne der Autoren August Meißner (1753–1807) und Christoph Martin Wieland (1733–1813), aber ohne die Frivolität des Ersteren und satirischen Einschlag des Zweiteren, – als „historisches Gemälde“ verstanden wissen wollte, denn er lehnte den Begriff des „historischen Romans“ ab. 1788 musste er in das preußisch-schlesische Breslau flüchten, da ihm wegen seines Trauerspiels Sidney von Seiten seiner klerikalen Widersacher ein inszenierter Prozess drohte. Bis 1796 war er Hauslehrer des Erbprinzen Erdmann von Schönaich-Carolath in Beuthen, widmete sich verstärkt der Schriftstellerei, gründete innerhalb der Freimaurerei den Geheimbund der „Gutesthuer“ oder Evergeten, trat 1791 zum Luthertum über und ging eine unglückliche Ehe ein, die nach 10 Jahren geschieden wurde. 1793/94 erschien sein zweibändiger, gleichfalls nach sehr persönlichen moralphilosophischen Idealvorstellungen geformter, dialogisch geführter biographischer Roman Mathias Corvinus, König der Hungarn und Herzog von Schlesien.
Im Jahre 1796 kam er nach Berlin, wurde Herausgeber etlicher Zeitschriften, begründete verschiedene Vereinigungen, etwa die Gesellschaft der Freunde der Humanität, auch Berliner Mittwochsgesellschaft (1783–1798) genannt, sowie die Feßlersche Mittwochsgesellschaft (1895–1806), wirkte gemeinsam mit dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) an der Reform der preußischen Großloge Royal York zur Freundschaft mit und wurde deren Großmeister, trat aber 1802 wieder aus. Feßler, der die Geheimniskrämerei der Logen ablehnte, ermöglichte mit seinen Schriften über die Freimaurerei auch heute noch durchaus interessante Einblicke in diese Geheimgesellschaften. Es folgte eine Reise durch Deutschland, bei der er zahlreiche Bekanntschaften mit bedeutenden Wissenschaftlern und Künstlern aller Sparten schloss. Zwischen 1798 und 1807 war er als Rechtsberater für die katholischen Departements für Neu-, Ost- und Südpreußen tätig, ließ sich scheiden, heiratete 1802 eine Fabrikantentochter und konnte sich endlich aus seiner beständigen finanziellen Notlage befreien, indem er 1803 Besitzer eines Landgutes bei Berlin wurde. Unterdessen hatte in Österreich – als Reaktion auf Napoleons zunehmende Einflussnahme auf Deutschland – Kaiser Franz II. die deutsche Kaiserwürde abgelegt und sich zum österreichischen Kaiser Franz I. gekrönt. Im vierten Koalitionskrieg gegen Napoleon, in den sich auch Preußen einschaltete, verlor Feßler 1807 sein Gehalt und sein Landgut und verarmte erneut. Ein Jahr danach erschien ein weiterer sich mit Ungarns Geschichte befassender Band, Die großen drey Könige der Hungarn aus dem Arpadischen Stamme, der die gleichfalls dialogisch aufgebauten biographischen Gemälde über Stephanus den Heiligen, Ladislaus den Heiligen und Colomanus den Gelehrten enthielt, sowie in der Folge noch etliche weitere unkritisch aufgearbeitete Geschichtsabrisse anderer Länder.
1809 folgte er einem Ruf nach St. Petersburg als Professor für orientalische Sprachen und Philosophie, wurde korrespondierendes Mitglied der russischen Gesetzgebungskommission und Hofrat, aber wegen angeblich atheistischer Äußerungen 1810 entlassen. Zwischen 1811 und 1813 übernahm er die Aufsicht über eine philanthropische Erziehungsanstalt in Wolsk im Gouvernement Saratow an der mittleren Wolga und ließ sich dort nieder. In dieser Zeit begann er Die Geschichte der Ungern und ihrer Landsassen zu schreiben, die bis 1825 zu zehn Bänden anwuchs. Fern der Heimat hatte Feßler damit die geistige Anregung des Historikers und Polyhistors Joseph von Hormayr zu Hortenburg (1781–1848) aufgegriffen und zur Erarbeitung einer großen gesamtösterreichischen historischen Zusammenschau durch seine deutschsprachige Aufbereitung der Geschichte Ungarns beigetragen. Damit sollte dem 1806 ins Leben gerufenen österreichischen Vielvölkerstaat ein Zusammengehörigkeitsgefühl mittels Bewusstwerdung der Gesamtgeschichte aller österreichischer Nationalitäten vermittelt werden, sodass daraus in weiterer Folge bedeutende Dichter des Landes nun auch Themenkreise aus der eigenen vaterländischen Geschichte als literarische Stoffe bearbeiten und damit popularisieren konnten. Mit seinem Geschichtswerk, das etliche Vorurteile und stereotype Vorstellungen, aber durchaus positiver Art, über Ungarn und die Ungarn transportierte, machte Feßler somit neue Stoffe für die im 19. Jahrhundert so beliebten Historiendramen zugänglich. 1815 lernte er die Herrenhuter Brüdergemeine in Sarepta bei Wolgograd an der unteren Wolga kennen, ließ sich hier mit seiner Familie nieder und begann sich für Belange der deutschen Siedler an der Wolga einzusetzen. Als der nächste Schicksalsschlag ihn eines seiner Kinder und seines Unterhalts beraubte, fand er schließlich in einer tief empfundenen pietistischen Frömmigkeit inneren Halt. 1817 kam es zu einer neuerlichen Wende: sein Gehalt wurde wieder ausbezahlt und er wurde Synodalvorstand und Superintendent des evangelischen Konsistoriums in Saratow und zum Bischof im damals zaristischen, heute finnischen Borgå für die hier lebende schwedische Minderheit geweiht. Er setzte zahlreiche Maßnahmen zur Reorganisation der lutherischen Kirche und für eine Schulreform, ging eine dritte Ehe ein, wurde 1827 von Zar Nikolaus I. (1796–1855) zur Mitwirkung an einer Neugestaltung der evangelischen Kirchenverfassung beauftragt, zum Kirchenrat der evangelischen Gemeinde in St Petersburg ernannt und trat 1833 in den Ruhestand. Er starb mit 83 Jahren.
Sein Einsatz für eine Organisation der russisch-lutherischen Kirche und für die Wolgadeutschen war von großer Bedeutung. Zudem war er ein ungemein fruchtbarer Verfasser kirchenpolitischer, religiöser, freimaurerischer, schöngeistiger, philosophischer, philologischer, historischer und autobiographischer Schriften. Seine historischen Werke, zumeist vom Standpunkt eines ungarischen Patrioten aus verfasst, zeichnen sich durch ihr reiches, aber wenig kritisch aufbereitetes Quellenmaterial aus, doch durch seine Geschichte der Ungarn in deutscher Sprache vermochte er letztlich weiten Kreisen einen Zugang zum Verständnis Ungarns und des östlichen Mitteleuropas zu eröffnen und zur wertvollen literarischen Stoffquelle für Österreichs Dichter zu werden.
Margarete Wagner