Serbische Weihnachten in Wien
Mein Sohn, der Fotograf ist, musste vor unserer Abreise noch einmal einen Lokalaugenschein machen. Also machten wir uns gemeinsam auf den Weg Richtung Lobau, entlang des Ufers der alten Donauauen. Plötzlich drang geheimnisvoller Rauch zwischen den Bäumen durch, und dann bot sich uns ein ungewöhnlicher Anblick. Hunderte Meter lang war die Böschung gesäumt von Spießen, auf denen Ferkel rosarot gebraten waren. Um sie herum waren Männer tätig. Ich habe sie nicht gezählt, aber es scharten sich beachtlich viele rund um die Mannschaften der Spieße. gab eine ganze Reihe von ihnen, die sich um eine Gruppe von Spucknäpfen scharten. Mein Sohn hatte zuvor einen von ihnen persönlich kennengelernt, den 28jährigen Željko Pinić. An Ort und Stelle war unschwer festzustellen, dass es sich durchwegs um Serben handelte, die sich auf das in drei Tagen bevorstehendeserbisch-orthodoxe Weihnachtsfest. Das Ferkelgrillen ist – bei strengem Fasten – Männersache.
6. Jänner, Dreikönigstag. Ihr Weihnachten fällt auf diesen Tag, aber nach Wiener Brauch grillen sie zuerst die Ferkel, bevor sie die heilige Speise am darauffolgenden Sonntag zu Hause verspeisen. (Was den Engländern der Truthahn, ist den Serben der Ferkelbraten.)
Ohne Organisation, aber der Vorgang hat einen traditionellen Rahmen; einer sagt es dem nächsten, und so entsteht der Grillkarneval. Es ist ein ungewöhnlicher Anblick, wert, in Bild und Schrift festgehalten zu werden, denn wer hätte gedacht, dass die auf 250.000 bis 300.000 geschätzte serbische Gemeinschaft ihre ganz und gar unösterreichische, nicht Wienerische Lebensform so lebendig zum Ausdruck bringt, nicht im Verborgenen, sondern vor den Augen aller, die vorbeikommen.
Željko ist ein sympathischer, gesprächiger junger Mann mit einem Lächeln im Gesicht. Er antwortet bereitwillig auf alle sich aufdrängende Fragen, hat – wie die anderen – nichts dagegen, fotografiert zu werden. Sein Deutsch ist grammatikalisch korrekt, höchstens die Aussprache lässt eine gewisse Schwere erkennen, vermutlich, weil er alles eigens betont.
Da er nicht nur jung ist, sondern auch Deutsch auf muttersprachlichem Niveau spricht, drängt sich die bedingte Frage auf: „Du bist doch hier in Wien geboren, oder?“ Per du, weil sich hier alle zu duzen scheinen. Die bejahende Antwort überrascht mich allein schon deshalb, weil er ungestüm hinzufügt, er sei schon die dritte Generation. Genau genommen war eine seiner Großmütter in den 1970er Jahren als Gastarbeiterin nach Österreich gekommen, aber schließlich nach Serbien zurückgekehrt. Ihr Sohn hingegen gewöhnte sich so gut in Österreich ein, dass er blieb. Er heiratete ein halb serbisches, halb bulgarisches Mädchen, und aus dieser Ehe ging Željko hervor.
Noch wesentlich überraschter bin ich zu erfahren, dass er als Wachtmeister seit sieben Jahren Ausbildner beim österreichischen Bundesheer ist und sich auf eine Weiterbildung vorbereitet, um in der Rangordnung aufzusteigen.
Angesichts all dieser Buntheit drängen immer mehr Fragen nach, vor allem in die Richtung, wofür er sich eigentlich hält. Er spricht von Multikulturalismus, ohne zu vergessen, dass für ihn zwei Richtungen entscheidend sind. Er beruft sich auf die Großmutter, die zu seiner Angelobung gekommen war und ihn mit Blick auf die österreichische Fahne aufmerksam gemacht hatte: „Auf diese Fahne hast du den Eid geleistet. Du hast Österreich so viel zu verdanken, dass du ihm als Österreicher treu dienen musst. (Zu unserem zweiten Treffen erschien Željko in Uniform in der Redaktion.)
Wie passen Serben- und Österreichertum zusammen? Das eine schließt das andere nicht aus. Auch wenn er Požarevac, die Heimat seiner Vorfahren, in jüngster Zeit nur noch zwei- oder dreimal im Jahr besucht, weiß er, dass seine Wurzeln dort liegen. Seine Mutter hat ihn immer wieder darauf hingewiesen.
Was bedeuten Wurzeln für einen Mann, der in Wien geboren wurde, in dessen Familie aber Serbisch gesprochen wurde und der Deutsch erst ab dem Kindergarten gelernt hat? Seitdem ist sein Bekannten- und Freundeskreis bunt gemischt. Er hat nie eine serbische Schule besucht, aber (teilweise dank eigenem Fleiß) kyrillisch lesen und schreiben gelernt. Seine Geschichtskenntnisse erwarb er ebenfalls „privat“, mit besonderem Schwerpunkt auf der Türkenzeit. Er bekennt sich zu seinen serbischen Wurzeln. Er glaubt, dass 98 Prozent der hiesigen Serben ähnlich denken. Die Kinder, vor allem die Buben, bekommen serbische Vornamen, bei den Mädchen ist es etwas anders, aber auch sie haben eher internationale als deutsche Namen. Er ist sich auch der unverzichtbaren Rolle der serbisch-orthodoxen Kirche in Bezug auf Sprache und Tradition bewusst und anerkennt diese. Obwohl kein Mitglied in irgendeinem serbischen Verein, unterstreicht er die Bedeutung von Vereinen.
Man muss zu den Wurzeln stehen. Je weniger Bücher, Musik und dergleichen du im Haus hast, desto eher gibst du die serbische Identität auf. Damals hat ihn beeindruckt, was der Englischlehrer seiner Mutter sagte: „Sorgen Sie dafür, dass Ihr Sohn die serbische Sprache nicht vergisst. Dennoch tat es ihm weh, als man ihm auf österreichischer Seite zu Bewusstsein brachte: „Merk‘ dir, dass du nie so sein wirst wie wir.“
„Orbán, super!", platzt er heraus, als er erfährt, dass ich Ungar bin. Er hört nicht auf, seine Politik zu loben, insbesondere die serbisch-ungarische Zusammenarbeit, vor allem im wirtschaftlichen Bereich. Die Serben mögen die Ungarn, und es ist auch Željkos Wunsch, dass die serbisch-ungarischen Beziehungen immer enger geknüpft werden.
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Foto: Elöd Deák