Süßes Leben oder süßer Tod
Während in Belgien und den Niederlanden Euthanasie („Tötung auf Verlangen“) schon seit 2002 möglich ist, haben die Schweiz (2012) und Deutschland (2020) den sogenannten „assistierten Selbstmord“ gesetzlich erlaubt. Solche und ähnlich freisinnige oder liberale Regelungen erschienen im häufig als urkonservativ titulierten Österreich lange Zeit unvorstellbar. Aber jetzt hat der Verfassungsgerichtshof wegen insgesamt vier Eingaben die Paragraphen 77 und 78 des österreichischen Strafgesetzbuches überprüft und wollte die Frage beantworten, ob das Verbot der Tötung auf Verlangen bzw. des assistierten Selbstmordes verfassungsgemäß sei. Das am 11. Dezember 2020 bei riesigem in- und ausländischem Interesse verkündete Erkenntnis besagt, dass die Unterstützung beim Selbstmord in Ausnahmefällen nicht zu bestrafen sei (sehr wohl aber weiterhin die Tötung auf Verlangen, also Euthanasie). Der Regierung wurde bis 31. Dezember 2021 Zeit gegeben, eine neue, verfassungskonforme Regelung auszuarbeiten. Sonst wäre ab 2022 der assistierte Selbstmord ohne Einschränkungen möglich gewesen.
Die Koalition aus der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und den Grünen hat eine Regelung erarbeitet, laut der den assistierten Selbstmord verlangen kann, wer an einer unheilbaren Krankheit leidet und deshalb unter ständigen Schmerzen leben muss. Die Person muss beschlussfähig und großjährig sein, die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und zwei Ärzte konsultiert haben. Erst nach dreimonatigen Überprüfungen wird entschieden, ob die betreffende Person bei ihrem Todeswunsch geblieben ist. Sie ist dann verpflichtet, persönlich einen Notar aufzusuchen, der einen Akt anlegt. Die Person selbst oder ein(e) Beauftragte(r) muss in einer Apotheke das Gift besorgen. Als begleitende Maßnahme plant die Regierung die drastische Erweiterung der Hospiz- und Palliativbetreuung.
So weit die Fakten. In ihnen sieht der Autor eine eindeutige Fortsetzung der säkularisierten Tendenzen der vergangenen Jahre. Ähnlich wie mit dem vom Europäischen Parlament im Juni mehrheitlich verabschiedeten Matic-Bericht (über die radikale Ausweitung der Abtreibung) werden Tabus gebrochen, die bisher in 2000 Jahren der jüdisch-christlichen Kultur niemals ernsthaft diskutiert oder verhandelt worden sind. Der Schutz des Lebens galt für alle als Grundbedingung. Die Menschheit sollte den Hilferuf, den die Todessehnsucht immer darstellt, trotz des Lärms in der Welt hören. Liebe sei stärker als der Tod, dem nicht das letzte Wort gegeben werden dürfe.
Original: Bölcskey-Molnár Dávid – Édes élet vagy édes halál