Ungarische Migration zwischen 2010 und 2021
Die Migration der Ungarn ist immer weniger eine Einbahn. Wie aus der Zeitschrift Demográfia (Nummer 2-3/2021) hervorgeht, belegen mehrere Studien, dass die Aus- und Rückwanderbewegungen keine stabile Tendenz haben. Anna Sára Ligeti analysierte aufgrund der Statistiken der staatlichen Gesundheitsversicherung die Daten von 507.000 aus- und 202.000 rückwandernden Ungarn.
Nach dem EU-Beitritt hatte als Folge der Wirtschaftskrise und innenpolitischer Gründe eine Auswanderungswelle der Ungarn eingesetzt. Schon 2012 verließen zweieinhalbmal so viele Menschen das Land wie 2010. Bis 2017 wanderten jährlich etwa je 50.000 Personen aus. Danach begann diese Zahl abzunehmen, bis sie 2020 als Folge der Pandemie wesentlich zurückfiel.
Das Verhältnis zwischen kurzfristiger Beschäftigung und anhaltender Auswanderung verändert sich dynamisch, doch die Mehrheit der jüngeren Generation findet samt Familie die Zukunft im Aufnahmeland. Von den Über-40-Jährigen bzw. jenen mit niedrigerer Qualifikation entschieden sich 21 Prozent für die Rückkehr nach Ungarn. Für sie typisch ist die nur einige Monate oder eine Saison dauernde Migration. Die Mehrheit ist im Fremdenverkehr tätig, sie können oder wollen sich nicht im Aufnahmeland ansiedeln.
In einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützten Studie erforschten András Bíró-Nagy und Andrea Szabó Andrea vergangenes Jahr, inwiefern die politische Zugehörigkeit auf die Migration wirkt. Bei den Unter-40-Jährgen fanden sich nur 12 Prozent Anhänger der Regierungsparteien, aber 36 Prozent oppositionelle Wähler und 24 Prozent Unentschiedene.
Spitzenreiter der Auswanderungsziele war bis 2019 Großbritannien. Zwar ist London noch immer die von den meisten Ungarn bewohnte ausländische Stadt, doch hat die Anziehungskraft seit dem Brexit wesentlich abgenommen. Nach den jüngsten Daten haben rund 100.000 Ungarn um Niederlassung in Großbritannien angesucht.
Auch die kurzfristige bzw. zirkuläre Migration ist von Covid-19 beeinflusst worden. Seit 2019 wählen immer mehr Ungarn Österreich oder Deutschland, teils wegen der Nähe, aber auch wegen des Kulturkreises, der verwandtschaftlichen Beziehungen sowie wegen der hohen sozialen Sicherheit. In den vergangenen Jahren hat die Zahl der kurzfristig auswandernden, pendelnden oder dauerhaft dortbleibenden Ungarn besonders in Wien und im Burgenland stark zugenommen. Waren nach 1956 nur rund 30.000 Flüchtlinge in Österreich geblieben, so übersteigt die Zahl der im westlichen Nachbarland lebenden oder dort arbeitenden Ungarn die 100.000er Grenze.
Ein Motiv dafür könnte – neben dem höheren Lebensstandard und den besseren Sozialmaßnahmen - auch die wesentlich niedrigere Todesrate sein. Während nämlich in Österreich bisher 14.000 Menschen an Covid-19 verstorben sind, so beträgt diese Zahl in Ungarn das Dreifache, nämlich 40.000.
Original: Prof. Dr. Birtalan Iván: Magyar migráció 2010–2021 között