Zwischen zwei Flüssen ruft das Land nach Wasser
In der Nummer 2023/5. Von Bécsi Napló beschäftigten wir uns unter dem Titel „Ökologische Probleme in der Tiefebene“ mit der Frage, welche Konsequenzen die Austrocknung, Verwüstung der Sandrückenregion (Homokhátság) zwischen Donau und Theiß haben könnte, und was dagegen zu tun wäre. Die Lage ist gravierend, laut Erhebungen der Europäischen Union könnte dieses Gebiet das erste Opfer der globalen Klimaveränderung auf unserem Kontinent werden.
Wir haben die großangelegten Arbeiten aufgezählt, die von Dunaharaszti im Komitat Pest, von Dabas bis zur Gegend von Mórahalom, Zákányszék, Ásotthalom im Komitat Csongrád-Csanád, von Lakitelek an der Theiß, von Tiszaalpár, Nyárlőrinc, Szentkirály bis Fülöpszállás und Akasztó nahe der Donauig die Region betreffen. Wassernachschub und -bewahrung des etwa 10.000 Quadratkilometer – mehr als ein Zehntel des heutigen Ungarn – umfassenden Gebiets werden nach diesen Plänen über Hauptkanäle erfolgen, die das Wasser von Donau und Theiß nutzen.
Mit den umfassenden, aus heimischen und EU-Quellen finanzierten wasserwirtschaftlichen Investitionen sind die reichlich vorhandenen lokalen Initiativen verknüpfbar. Von diesen soll jetzt die Rede sein. Die Bauern wissen am besten, wie groß das Problem ist. Sie mühen sich seit langem um Lösungen, die Gebiete unterschiedlicher Größen betreffen. In der Nähe von Jászszentlászló beispielsweise habe ich mit meinen Studenten im Rahmen des Universitätsfaches Einödhof an einer abgestimmten, als kaláka ausgeführten Aktion teilgenommen, in der wir den in den Dong-Bach führenden Kalmár-Kanal durch einen Damm zurückstauten. Anderswo werden die tiefergelegenen natürlichen Gebiete – Seebecken, Untiefen, Flachgewässer – als Wasserreservoirs genutzt, in Orgovány, Ágasegyháza, Fülöpháza wird Wasser aus dem Donautal-Hauptkanal mit Pumpvorrichtungen über das vorhandene und gereinigte Kanalnetz auf die Felder gebracht. In Ruzsa wurden künstliche Seen zur Aufnahme der gereinigten Abwässer gebaut, in Csólyospálos geht das Landschaftsanwesen von Professor Sándor Győri-Nagy Sándor mit der Bewahrung der Moorwasser mit gutem Beispiel voran.
Es ist auch lohnend, die jahrhundertealte Tradition der flussnahen Gratwirtschaft wiederzubeleben. Grat bedeutet, dass das Fluss- oder Seewasser bei Flut über Risse in den begleitenden Hügelzügen, Öffnungen in den Hochufern sowie über Nebenflüsse und Kanäle aus den Ufern trat, die Flachgebiete „von unten nach oben“ auffüllte und bei Ebbe über dieselben Öffnungen teilweise wieder ins Fluss- oder Seebett zurückkehrte. Ein Grat leitete das Wasser in zwei Richtungen. Gratwirtschaft war also die Grundlage der alten Bewirtschaftung von Hochwassergebieten. Deren Bedeutung wird dann erkannt, wenn wir wissen, dass bis zur Mitte des 19. Jahrhundert – als die Flussregulierungen und die Ableitung der Hochwasser begann – ein Viertel Ungarns, mehr als die Hälfte des Landes zwischen Donau und Theiß wasserdurchzogenes „Wildwasserland“ war.
Die zeitweilige Bedeckung durch Wasser bescherte dank der natürlichen Trinkplätze, der „Fischwiegen“ einen Fischreichtum – größere Fische konnten bei Ebbe, bei der Rückkehr der stagnierenden Gewässer massenweise gefangen werden. Andere Nutzungen wie Weiden und Obstplantagen waren ebenfalls begünstigt. Der an Nährstoffen reiche Boden hielt das Wasser wesentlich besser als die nach der Regulierung ständig zunehmenden Ackerböden, die besonders arg austrockneten, wo industrieller Anbau erfolgte. Von den einstigen Hochwassergebieten – nicht identisch mit den heutigen schmalen Flutgebieten entlang der Flüsse – wird heute durch das etwa 40.000 Kilometer lange Kanalsystem ein Mehrfaches des Inhalts des Balaton (Plattensee) aus dem Land geleitet. Dieses Wasser fehlt umso mehr, als die jährliche Niederschlagsmenge abnimmt und die Durchschnittstemperatur steigt.
Zu allem Überfluss ist der Anteil der bewässerten Gebiete in Ungarn auch noch sehr klein, von 4,3 Millionen Hektar Agrarland sind es nur 120.000 Hektar, nicht ganz drei Prozent des Gesamtgebiets. Deshalb haben Bewässerungsgemeinschaften riesige Bedeutung, wie etwa die Vereinigung von Fajsz, Bátya, Dusnok und Miske bei Kalocsa mit 38 Mitgliedern – die größte ihrer Art in Ungarn – oder jene nördlich bei Dunapataj und Harta. Diese beiden Vereinigungen ermöglichen künstliche Bewässerung auf mehreren tausend Hektar. Der Schaden durch Dürre lässt sich in Jahren wie beispielsweise 2022 – als sogar Mais importiert werden musste – in mehreren hundert Milliarden Forint messen.
„Fluchkanal“, „Mörderkanal“, „Brände“ – derartige Bezeichnungen, erfunden nach der Ableitung der lebenswichtigen Wasser, leben im Volksmund noch heute. Seither hat sich viel verändert, aber es gibt Menschen, welche die Idee des „Garten-Ungarn“ zwischen den beiden großen Flüssen, Donau und Theiß, nicht aufgeben. Über die einstige Gratbewirtschaftung kann man viel erfahren aus dem 1973 erschienenen Buch von Bertalan Andrásfalvy mit dem Titel „Die uralte Flutgebietsbewirtschaftung des Sárköz“ – das Basiswerk dieser Bewirtschaftungsform –, aus Werken von Tibor Bellon und Géza Molnár über die Theiß-Bewirtschaftung und besonders von Sándor Győri-Nagy, der in seinen Artikeln und Büchern die Feuchtebewirtschaftung im Karpatenbecken in ihrer Gesamtheit vorstellt. Die Grate wurden bei den Flussregulierungen mit ihren hohen Dämmen großteils zugestopft, verbarrikadiert. Aber an der Theiß – in Nagykörű, Mártély, Tímár und anderswo –, am Donau-Abschnitt durch die südliche Tiefebenen sowie jenseits der Grenze bei Bezdán haben die Bewohner erflogreich Experimente gestartet und Gratbewirtschaftung angefangen.
Grat ist die Übersetzung für das Ungarische „fok“. Wenn es so weitergeht, könnte diese Art der Bewirtschaftung nicht nur in Siedlungsnamen weiterleben wie Foktő an der Donau, Nagy-fok und Fok-lapos in der Theiß-Ebene, Drávafok an der Drau sowie Siófok am Balaton-Ufer. Bringt sie wieder Wasser für die Gegend, das einstige „Wildwasserland“?
Original: Sándor Dulai: „Két folyó közt vízért kiált a táj“